Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Die Überwachung von Hochschulpädagogen mit einem Kamerasystem zur Kontrolle von deren Unterricht ist nicht zulässig

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied am 28. 11. 2017, dass die Universität in Montenegro als Arbeitgeber nicht dazu berechtigt war, den Verlauf des Unterrichts mittels eines in den Hörsälen angebrachten Kamerasystems zu überwachen, und mit dieser Überwachung die Privatsphäre der Universitätsprofessoren, die sie angestellt hatte, verletzte.

Was geschah?

Der Dekan der Mathematischen Fakultät kündigte bei einer Besprechung mit den Unterrichtenden an, dass in den Hörsälen, in denen der Unterricht abläuft, ein System zur Videoüberwachung installiert worden sei. Drei Wochen später erließ er einen schriftlichen Beschluss, der darüber informierte, dass ebenso sieben Aulen und der Bereich vor dem Büro des Dekans videoüberwacht würden. Angeblich diente dies der Sicherheit von Besitz und Personen (unter anderem der Studenten) und zur Kontrolle des Unterrichts. Zugang zu den so erlangten Aufnahmen hatte der Dekan selbst und die Aufnahmen sollten ein Jahr lang gespeichert werden (schlussendlich wurden die Aufnahmen jedoch auf Grund der Größe des Datenspeichers nur ca. ein Monat lang gespeichert). Die Arbeitnehmer hatten keinen Zugang zu diesen Aufnahmen und die Möglichkeit, die durch die Aufnahmen erlangten Daten weiterzuverarbeiten, war seitens des Dekans unbegrenzt.

Die Universitätspädagogen brachten bei einem regionalen Amt für den Schutz von personenbezogenen Daten erfolgreich Beschwerde ein, wobei das Gericht zu ihren Gunsten entschied, u.a. aus dem Grund, dass es keine Beweise für die Gefährdung von Besitz oder der Gesundheit von Personen gab und die Aufsicht über den Unterricht keinen legitimen Grund für dessen Videoüberwachung darstelle. Hier kann angemerkt werden, dass angesichts der bisherigen Auslegungspraxis ein tschechisches Amt wahrscheinlich zu demselben Entschluss gekommen wäre. Die Universitätspädagogen bemühten sich dann um Schadenersatz für die Verletzung ihres Rechts auf Privatsphäre.

Rechtliche Würdigung des Falls

Die Universitätsprofessoren waren vor den Gerichten von Montenegro nicht erfolgreich, da diese den Standpunkt vertraten, dass ein Professor in einem Hörsaal nicht im Rahmen seines Privatlebens handle. In einem Hörsaal sei der Professor nie alleine, und deswegen könnten laut den montenegrinischen Gerichten Videoaufnahmen desselben keinen Grundstein zur Verletzung des Rechts auf Privatsphäre darstellen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte basierte sein Urteil jedoch darauf, dass ein Recht auf Privatsphäre auch das Recht auf ein „privates Sozialleben“ miteinschließt, also auf die Herausbildung einer sozialen Identität bei der Begegnung mit anderen, um mit ihnen Beziehungen aufzubauen.

Außerdem gibt es laut dem Gericht für die Mehrheit aller Menschen im Arbeitsleben die meisten Gelegenheiten zum Ausbau der Beziehungen zur Außenwelt und es kann somit nicht genau festgestellt werden, welche Aktivitäten Teil des Berufslebens bilden und welche nicht. Die Hörsäle seien der Arbeitsplatz der Professoren, wo sie nicht nur Studenten unterrichteten, sondern auch eine Beziehung zu ihnen aufbauen und ihre sozialen Identität gestalteten, weswegen das Gericht davon ausgeht, dass die Professoren verstandesgemäß voraussetzten, dass ihre Privatsphäre respektiert und geschützt werden würde.

Das Gericht bestätigte, dass jegliche Überwachung von Arbeitnehmern am Arbeitsplatz als Verletzung der Privatsphäre des Arbeitnehmers angesehen werden muss, und deswegen immer zuerst beurteilt werden muss, ob diese Verletzung der Privatsphäre ein legitimes Ziel verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft zum Erreichen dieses Ziels erforderlich ist.

In diesem Fall waren die Bedingungen für die Videoüberwachung von Räumlichkeiten ausdrücklich in den montenegrinischen Rechtsvorschriften festgelegt, wobei diese Bedingungen nicht erfüllt worden waren. Die Anbringung der Videokameras war also schon für sich gesetzeswidrig.

Die minderheitliche Meinung des Gerichts

Hier sollte angemerkt werden, dass das Gericht mit vier Stimmen gegen drei entschloss. Diese drei Richter waren der Meinung, dass das Gericht die Bedeutung des Rechts auf Privatsphäre zu weit ausdehne. Sie argumentierten damit, dass lediglich Videoaufnahmen ohne Tonspur erstellt worden waren, es war somit unmöglich den Unterricht oder Diskussionen zu verfolgen. Das Bild war noch dazu verschwommen, sodass man Personen nicht leicht erkennen konnte, und nur der Dekan hatte Zugang zu den Aufnahmen, darüber hinaus wurden diese nicht weiter benutzt. Die gegnerische Stellungnahme der drei Richter unterstreicht, dass die Antragsteller Universitätsprofessoren sind, die ihre professionelle Aktivität in einem quasi öffentlichen Raum ausüben. Nachdem sie auf die Überwachung aufmerksam gemacht worden waren, hätten sie laut den andersgesinnten Richtern verstandesgemäß nur sehr limitiert erwarten können, dass ihre Privatsphäre respektiert und geschützt werden würde.

Wie ist das in Tschechien?

Laut dem tschechischen Arbeitsgesetzbuch darf ein Arbeitgeber die Privatsphäre eines Arbeitnehmers am Arbeitsplatz nicht ohne schwerwiegenden Grund verletzen, indem er ihn u.a. offener oder versteckter Überwachung unterzieht. Wenn es jedoch einen ernsthaften Grund zur Überwachung gibt, muss er den Arbeitnehmer im Vorhinein direkt über das Ausmaß der Kontrolle und die Art ihrer Durchführung informieren. Weitere Beschränkungen bei der Verarbeitung solcher Aufnahmen gehen aus dem Gesetz zum Schutz von personenbezogenen Daten bzw. aus der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die im Mai 2018 in Kraft tritt, hervor.

Bei der Überlegung, ein Kamerasystem einzusetzen, muss jetzt unter anderem erwägt werden, wozu es dienen soll, ob das gegebene Ziel legitim ist und ob es nicht mit anderen, weniger invasiven Mitteln erreichte werden kann (d.h. ob ein genügend schwerwiegender Grund für diese Maßnahme existiert). Falls die Videoaufnahmen aus dieser Sicht notwendig sind, muss alles dazu getan werden, dass die Privatsphäre der Arbeitnehmer so wenig wie möglich verletzt wird. Gleichzeitig müssen die Arbeitnehmer nachweisbar zu allen wichtigen Tatsachen bezüglich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten, zu der es bei der Videoaufnahme kommt, informiert werden.

Die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte auf Privatsphäre wird seit Beginn dieses Jahres neuerdings auch von der Arbeitsinspektion kontrolliert, wobei diese im Fall einer Verletzung der Privatsphäre der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine Strafe von bis zu CZK 1 Million auferlegen kann. Strafen im Zusammenhang mit der gesetzeswidrigen Verarbeitung von personenbezogenen Daten können auch vom Amt für den Schutz von personenbezogenen Daten angeordnet werden.